Notizen einer Reiseleitung
Warum gibt es in Großbritannien keine Toilettenbürsten?
Endlich geht es wieder los nach der Pandemie. Reisen ist wieder erlaubt, erst zaghaft, aber dann mit Vehemenz. Auf den Sparbüchern hat sich das Geld gesammelt, das will verreist werden!
Die deutsche Reise- und Tourismusbranche hat Schätzungen der Statista Market Insights zufolge im vergangenen Jahr das Niveau von vor der Corona-Krise übertroffen. Bis 2025 soll die Branche in etwa auf diesem Level stagnieren. Der Markt für “Pauschalurlaub” ist mit einem erwarteten Volumen von 38 Mrd Euro im Jahr 2024 das größte Segment.
Wir leben in politisch schwierigen Zeiten, vorsichtig ausgedrückt. Niemand weiß, was noch kommt. Ein bisschen ähnelt die Situation dem Tanz auf einem Vulkan; wenn nicht jetzt, wann dann?
Buchen wir doch eine Pauschalreise, eine Rundreise. Damit sind wir sicher und in Gesellschaft, von morgens bis abends betreut. Besonders für die Best Ager, mit Zeit und Erspartem, ist diese Form des Reisens attraktiv. Meist sehr günstig und mit wenig Eigeninitiative kann man vieles sehen und erleben.
Viele Urlauber bedenken dann allerdings nicht, dass sie verreisen, “woanders” sind. Wie heißt es so schön: „andere Länder andere Sitten“. Es hat sich wohl mittlerweile eingebürgert, dass auch in einem anderen Land alles so sein soll wie zuhause.
Das war schon immer so. Wie haben wir uns gefreut, als es in den 70ern in Spanien endlich Butter im Ladenregal gab und man sein belegtes Brot nicht mit Olivenöl essen musste. Warum gibt es in Großbritannien denn nur so pappiges Brot? Und wieso gibt es keine Toilettenbürsten?
Seit Beginn des Massentourismus in der 1950er Jahren nach Italien hat sich einiges verändert. Die Caprifischer, Dolche Vita, Spaghetti, die man notfalls mit der Schere klein schnitt, Pizza, Sonne, Strand, braungebrannte Italiener, die den deutschen Frauen hinterherpfiffen …. alles war neu und exotisch.
“Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was verzählen“, beginnt Mathias Claudius sein 1786 erschienenes Gedicht “Urians Reise um die Welt”. Das macht Sinn, Alltagsroutinen bleiben zu Hause, man sammelt neue Erfahrungen und lernt Land und Leute kennen und lieben.
Was ist davon geblieben? Wo ist die Freude an frischen Entdeckungen und Abenteuern, wo das Interesse an kulturellen Unterschieden? Wo machen wir noch Kompromisse und sind bereit für Zwischentöne, nicht alles schwarz oder weiß, polarisiert?
Seit Jahren als Reiseleiterin in Großbritannien unterwegs, kann ich vieles erzählen: Geschichten von zu kleinen Betten, Waschbecken ohne Mischbatterie, eine große Bettdecke für zwei erwachsene Personen, das Frühstück nicht kontinental genug und das Brot erwähnte ich ja schon. Außerdem Beschwerden über das Wetter, aber das ist ja mittlerweile auch nicht mehr so nass und kalt, dank Klimawandel. Und Englisch ist eben eine andere Sprache, somit ganz normal, dass man nicht alles versteht.
Viele Gäste geben mit Erscheinen des Reiseleiters ihre Selbstverantwortung ab, wie einen Mantel an der Garderobe. Wir Reiseleiter kümmern uns gerne und sind ansprechbar, in Notfällen auch 24 Stunden. Das ist unser Job. Nur leider fehlt es gelegentlich an Respekt und Höflichkeit der Gäste.
„Ich habe die Reise bezahlt, und nun möchte ich das absolute Filetstück für mich abschneiden.“ Diese Einstellung führt oft zu überzogenen Erwartungen. Kleinste Abweichungen vom Plan (oder auch das Gegenteil!) provozieren denkwürdige Beschwerden und unhöfliche Bemerkungen.
Gerade in einem Land wie Großbritannien fällt das besonders auf, hier, wo ein höfliches Miteinander Usus ist. Nirgendwo hört man so oft „please“, „thank you“, „sorry“ und „excuse me“. „Schlange stehen“ ist sportliche Pflicht. Das Vereinigte Königreich ist ein Serviceland. Dass der Service zurzeit nicht mehr so reibungslos funktioniert, dank Brexit und den Nachwehen der Pandemie, steht auf einem anderen Blatt. Die Servicekräfte sind rar geworden oder …. auf dem Kontinent!
„Respect your Guide“, so sah sich der Studien Reiseleiter Verband unlängst zu einer Kampagne veranlasst , die die Gäste bittet, wie der Slogan schon sagt, mit dem Reiseleiter respektvoll umzugehen. Man könnte es erweitern um „Respect your Host“ – respektiere Deinen Gastgeber. Wir Deutsche haben in Großbritannien oft den Ruf ungeduldig zu sein und werden in der Kritik an Dienstleistungen oft als zu fordernd oder unflexibel wahrgenommen. Haben einige der Reisenden vielleicht vergessen, dass sie selbst immer auch Botschafter ihres eigenen Landes sind?
Mittlerweile habe ich mir ein dickes Fell wachsen lassen. Wenn die Gäste nach einer Woche Rundum Betreuung zum Abschied wortlos vorbeigehen und dabei in die andere Richtung schauen, dann vergesse ich das schnell und mache weiter. Neue Tour … neues Glück! ….. Und das Reinigen der Toiletten gehört zum Service!
von Gabriele Kolsch