Digitale Fortbildung Städel II

“Gegenwartskunst”  / Führung: Daniela Englert

In ungefähr gleicher Besetzung und mit etwas mehr Teilnehmer*innen wie beim ersten Städel-Besuch nun am 18.3.2021 eine zweite einstündige Führung. Diesmal geht es um einen repräsentativen Ausschnitt aus der zeitgenössischen Kunst, d. h. Kunst nach 1945 mit prominenten Vertretern der Malerei und Skulptur und der Stile der drei Dekaden nach dem 2. Weltkrieg. Da letztes Mal bei den “Highlights des Städel” mit der “Kahnfahrt” von Gerhard Richter der derzeit berühmteste deutsche Maler bereits behandelt worden war, stand zudem ein monumentales Gemälde des 21. Jahrhunderts von Daniel Richter zur Betrachtung.

Dabei sind mit dem Briten Francis Bacon, den Deutschen Joseph Beuys, Georg Baselitz, Günther Uecker und dem Franzosen Yves Klein nicht nur große Namen, sondern auch ihre eigene Epoche prägende Künstlerpersönlichkeiten zu erleben.

Bacons “Studie für die Krankenschwester in dem Film “Panzerkreuzer Potemkin” (1957) als Transformation einer berühmten Filmszene des berühmten Stummfilms von Sergej Eisenstein (1925) und gleichzeitig als Zitat europäischer Kunst konkretisiert sich im Vergleich mit dem Filmstill und bringt auch in der nach jedem Werk folgenden und angeregten Fragerunde eine ganze Reihe verschiedener Assoziationen und Interpretationen.

 Beuys’ “Bergkönig” (1971), ein Bronzeguss, lädt die Betrachter*innen vor allem durch seinen mythischen Titel zu einer Reihe von eigenen Interpretationen ein. Als Bildhauer ist der Aktionskünstler Beuys, dessen Persönlichkeit Englert anhand eines Fotos von einer seiner ersten Ausstellungen im Berliner Gropius-Bau beschreibt, eher selten in Erscheinung getreten.

Georg Baselitz’ “Oberon” (1963/64), ein fünf Quadratmeter großes Ölgemälde in hellem und dunklem Braunrot, gehört zu seinen Frühwerken und zeigt in der auffälligen Signatur an, dass die Ausrichtung vom Maler so bestimmt ist. Es hat noch nichts gemein mit den Gemälden ab 1969, die ‘auf dem Kopf stehen’ und die zum “Markenzeichen” des Künstlers wurden, es bleibt in vielem rätselhaft und ist nicht für alle eindeutig zu entschlüsseln. Programmatisch daran sind das Figurative, an dem Baselitz bis heute festhält, weil ihn das rein Abstrakte nach eigenen Worten nicht interessiere, außerdem ein einziger großer Farbzusammenhang und die Reduktion des Figürlichen auf mimische und gestische Andeutungen.

 Günther Ueckers “Organische Struktur” von 1962 zeigt radial als Spirale angeordnete Nägel auf einem mit Ölfarbe leicht besprühtem Holzgrund. Die Wechselwirkung von hartem Stahl, tonigem Untergrund und vielfach gebrochenem Licht ist nicht nur dynamisch, sondern hat auch eine ebenso meditative Wirkung wie die “Sandmühle” von 1970, die Ueckers Beschäftigung mit fernöstlicher Kunst zeigt. Ein Sandkreis mit Sand von unterschiedlicher Körnung wird von einem Rechen aus Schnüren (mit leisem Elektromotor) in immer gleicher Weise durchzogen und erfährt mit der Zeit eine kaum sichtbare materielle Transformation.

Yves Kleins “Relief éponge bleu (Kleine Nachtmusik)” von 1960 hat ebenfalls stark meditative Wirkung durch die Monochromie der “kosmologisch” matten Ultramarinfarbe (patentiert als ‘International Yves Klein Blue’). Über aufgeklebten Schwämmen und Steinen aufgetragen entsteht eine unterschiedliche Dichte und Haptik von Farbe und Material.

Daniel Richters (*1962) Monumentalgemälde “Die Horde” von 2007 orientiert sich an dokumentarischer Fotografie, wobei eine Vielzahl von malerischen Techniken (u. a. Dripping, Sprühtechnik) angewendet wurde. Die Gruppe von leicht überlebensgroßen Figuren wirkt militant (Baseballschläger, angeleinter Hund) und “brachial, aber eher abwartend”. Mit ihren Masken, die u. a. Totenköpfen ähneln, sind sie physiognomisch unkenntlich und in ihren von farbigen Reflexen schimmernden Anzügen, die sowohl Uniformen als auch Kleidung einer Gang sein könnten, ist ihre Bedrohlichkeit nicht klar einzuschätzen.

Fazit:  Wieder sehr konzentriert, kommunikativ, anregend: Erklärungen zu Stil, Erläuterungen zur Künstlervita, Details zu Technik und künstlerischen Präferenzen von Material, dazu viel Background zur Rezeption der Werke. Viel gelernt und wertvolle Denkanregungen bekommen!

 Ankündigung: Im April wird Teil III – das “missing link” mit der “Kunst der Moderne” im Städel folgen, so dass diese kleine Reihe sowohl einen Anreiz zu weiteren Museumsbesuchen als auch Anschauungsmaterial für eine eigene Führung geben kann.

Dorothee L. Schaefer

 

vorgestellt und erklärt – nach vorheriger Absprache mit Frau Englert – wurden die Werke:

  • Francis Bacon (1909-1992) “Studie für die Krankenschwester in dem Film ‘Panzerkreuzer Potemkin'”, 1957, 198 x 142 cm, Öl/Lw.
  • Joseph Beuys (1921-1986) “Bergkönig”, 1971, 35 x 83 x 173 cm (Tunnel, zwei Planeten), Bronzeguss
  • Georg Baselitz (*1938) “Oberon”, 1963-1964, 250 x 200 cm, Öl/Lw.
  • Günther Uecker (*1930) “Organische Struktur”, 1962, 110 x 110 x 8 cm, Nägel/Öl/Lw/Holz
  • und “Sandmühle”, 1970
  • Yves Klein (1928-1962) “Relief éponge bleu (Kleine Nachtmusik)”, 1960, 145 x 116 cm, Schwämme, Pigment in Kunstharz, Stein, Holz, Metall
  • Daniel Richter (*1962) “Die Horde”, 2007, 280 x 450 cm, Öl/Lw.

(alle unter https://www.staedelmuseum.de/de/highlights-der-sammlung abrufbar)